Stefan-Heym-Lesung in Naumburg

Leserbrief von Gisela Mende, gesandt an das Naumburger Tageblatt / MZ

Eine szenische Lesung unter dem Thema „Stefan Heym – einer, der nie schwieg“ am 28. Mai im Vortragsraum des „Naumburger Tageblattes“ hat mich so berührt, dass ich daran auch andere Leser meiner Tageszeitung beteiligen möchte.

 

Im April wäre ja Stefan Heym, 1994 Alterspräsident des Bundestages, jüdischer Schriftsteller und Journalist von Weltruf, 100 Jahre alt geworden und deutschlandweit wurde seiner auf vielen offiziellen Veranstaltungen auch „ganz oben“ gedacht und sein vielseitiges Werk geehrt. Das war zu DDR-Zeiten nicht vielen Leuten bekannt; es wurde zensiert und hierzulande wenig veröffentlicht.

 

Umso überraschter war ich von der Idee, aus einem „Leseheft“ voller Texte, zusammengestellt vom Schauspieler und Regisseur Franz Sodann, öffentlich vorlesen zu lassen. Diese Idee kam vom Mitglied des Bundestages Roland Claus, der der Fraktion DIE LINKE angehört, nachdem er eine ähnliche Veranstaltung in Berlin erlebt hatte. Dort hatten bekannte und hoch angebundene Politiker  Auszüge aus Interviews, Erklärungen und Romanen gelesen.

 

Jetzt sollten es „ganz normale“ Frauen und Männer aus Bad Kösen, Naumburg, Tröglitz und Göbitz, also sozusagen aus der Nachbarschaft  tun. Und wie sie es taten! Dass es so gut klappte mit den abwechselnd lesenden vier Frauen und fünf Männern, hing sicher auch damit zusammen, dass sich der Naumburger Wolfgang Süß in der Vorbereitung dieser Lesung gewiss viel Arbeit machte.

 

Wer einfach nur nette, hübsch formulierte Texte erwartet hätte, wäre bei dieser sehr gut besuchten Veranstaltung fehl am Platz gewesen. Stefan Heym analysierte schonungslos die Gesellschaft, in der er sich befand und die manchmal geradezu prophetischen Äußerungen zu Gegenwart und Zukunft von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verblüfften mich. Es ist, als ob er heute noch über unsere Zeit schriebe. Zum Beispiel machte mir eine Kolumne aus dem Jahre 1955 über seine Sorgen, welche Folgen die deutsch-deutsche Wiedervereinigung für die Menschen haben würden, geradezu eine Gänsehaut; er hat sie bis ins Detail vorausgesehen.

 

Die Lesenden erhielten zum Schluss viel Beifall. Ich wünsche mir ja, dass man diese Veranstaltung auch noch in anderen Orten unseres Kreises erleben könnte. Auch wenn es sicher nicht einfach ist, die neun Leute in ihrer Freizeit noch einmal zusammenzubekommen.

 

Gisela Mende, Schulpforte