Birke Bull: Mitgliederbrief

Birke Bull, Vorsitzende des Landesverbandes DIE LINKE. Sachsen-Anhalt

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

es gibt nichts zu beschönigen: Das Ergebnis der Landtagswahl ist sehr bitter für DIE LINKE. Sachsen-Anhalt. Wir haben nicht nur deutlich an Stimmen, wir haben auch alle unsere 2011 erkämpften Direktmandate verloren. Da ist es leider nur ein kleiner Trost, dass Christina Buchheim in Köthen ihr Direktmandat erringen konnte. Selbstverständlich gratulieren wir ihr dazu sehr herzlich. Vor allem aber – DIE LINKE ist nach der CDU und der AfD nur noch drittstärkste politische Kraft in Sachsen-Anhalt.

Wir sind mit der klaren  Aussage angetreten, in Sachsen-Anhalt einen Regierungswechsel und damit einen  Politikwechsel herbeiführen zu wollen. Unser Ziel war, eine Mehrheit für Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün zu erreichen. »Ein Land zum Leben. Ein Land zum Bleiben.«  - unter diesem Motto standen unsere Ideen für Sachsen-Anhalt. In Auseinandersetzung mit der desaströsen Bilanz der Landesregierung haben wir konkrete Vorschläge gemacht für eine bessere Personal-, Wirtschafts- und Förderpolitik, für die öffentliche und soziale Infrastruktur.

Der Landtagswahlkampf wurde allerdings von einer anderen Debatte dominiert – der Aufnahme und Integration von Geflüchteten. Es gab kein Thema, das darüber hinaus stärkeren Widerhall in der öffentlichen Wahrnehmung fand. Die Regierungsbilanz spielte faktisch keine Rolle mehr.

Das hat unsere Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer mit unserem Ministerpräsidentenkandidaten Wulf Gallert an der Spitze vor enorme Herausforderungen gestellt. Euch allen gilt unser ganz großer Dank! Ihr habt einen großartigen Wahlkampf geführt, nicht wenige sind an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte gestoßen. Wulf war der beste Spitzenkandidat, den wir uns wünschen konnten – kompetent, argumentationsstark, glaubwürdig. Auf Podien, in Foren, im persönlichen Gespräch mit zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern hat er immer wieder landespolitische Themen angesprochen und zu überzeugen gewusst.

Wir waren und sind uns darin einig: Eine klare Haltung zu Menschlichkeit, zu Solidarität und Gerechtigkeit, und zwar für alle, für Einheimische wie für Zugewanderte, ist für uns keine taktische Option für mehr Zustimmung. Es ist eine Prämisse, die für uns nicht verhandelbar war und ist, eine Prämisse, die uns auch Zustimmung kosten kann. Wir bleiben dabei: Zuwanderung ist dann – nicht nur für Sachsen-Anhalt – eine Chance, wenn Integration gelingt. Da sind wir standhaft, und darauf können wir wirklich stolz sein.

In der »Zeit« vom 16. März 2016 bringt es die Autorin Mely Kiyak auf den Punkt: »Wieso gab es in Sachsen-Anhalt nur einen Gewinner? Nämlich die AfD und nicht die Linke. Weil sich einer wie Wulf Gallert, der Spitzenkandidat der Linken, geweigert hat, die Sprache von PEGIDA und AfD zu übernehmen. Von Anbeginn an, seit 2014 hat Gallert diese Leute als Fremdenfeinde bezeichnet und auch gegen Obergrenzen argumentiert. Gallert stand auf der Seite der Armen, ohne zu spalten, ohne die ganze schwarz-rot-goldene Folklore. Er war gegen die ‚neoliberale Politik‘, aber, und das war sein Verhängnis, er war gegen Rassismus und bekundete den Flüchtlingshelfern in der jüdischen wie muslimischen Gemeinde in Magdeburg seinen Respekt. Was die Polizei in Clausnitz betraf, die mit Gewalt einen Minderjährigen aus dem Bus zerrte, ergriff er sofort Partei. Aber nicht für jene, die angeblich Denkzettel verpassen wollen, sondern für die wahren Opfer von AfD und ihren Freunden.« 

Es wäre natürlich zu einfach, die Ursachen unseres enttäuschenden Abschneidens nur in der Diskussion um Geflüchtete zu suchen. Wir müssen auch darüber diskutieren, warum es uns offenbar nicht gelungen ist, die Flüchtlingsfrage ausreichend mit der sozialen Frage zu verknüpfen, deutlich zu machen, dass beide Themen miteinander verbunden werden müssen. Und wir müssen darüber nachdenken, warum wir inzwischen von vielen als Teil des politischen Establishments wahrgenommen werden und inwieweit wir noch in der – vor allem ostdeutschen – Gesellschaft verankert sind. Wir werden auch über die Wahlkampagne sprechen und bitten ausdrücklich um eine ebenso kritische wie kollegiale Diskussion dazu.

Einen Tag nach der Landtagswahl hat sich das Landeswahlbüro zu einer ersten Auswertung getroffen. Am selben Tag kam auch der Landesvorstand gemeinsam mit Wulf Gallert zu einer Beratung zusammen. Wulf informierte über seine – schon deutlich vor dem Wahltag getroffene – Entscheidung, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Die Mitglieder des Landesvorstandes nahmen diesen Schritt mit hohem Respekt und in großer Dankbarkeit für die geleistete Arbeit entgegen. Gleichzeitig beschlossen sie, den anerkannten Finanzpolitiker und auf vielen Gebieten sehr erfahrenen Genossen Swen Knöchel für das Amt des Fraktionsvorsitzenden vorzuschlagen. 

Inzwischen hat auch die erste Sitzung der Fraktion in der neuen Legislaturperiode stattgefunden. Es war ein Austausch zum Wahlergebnis und den daraus erwachsenden Konsequenzen. Eines ist klar geworden: Wir haben vieles zu überdenken. Dafür brauchen wir noch auf den unterschiedlichsten Ebenen Diskussionsrunden, um uns in unseren Strategien einer starken Oppositionspartei zum einen gegenüber der AfD und zum anderen gegenüber einer Landesregierung sicherer zu sein. Für diese Debatten wird zum Beispiel Gelegenheit sein auf unserem "Kleinen Parteitag" am 19. März, auf unseren drei Regionalkonferenzen am 11., 13. und 14. April und auf unserem nächsten Landesparteitag am 23. April 2016. 

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

wir haben es uns alle anders gewünscht. Aber wir müssen mit dem Wahlergebnis umgehen, daraus Konsequenzen ziehen, Ressourcen neu ordnen und einen politischen Aufbruch organisieren.

Kopf hoch, und nicht die Hände!

Ich weiß uns da alle dicht beieinander. Denkt an das Motto unserer letzten Großfläche: Solidarität und Gerechtigkeit. So schaffen wir das! 

In diesem Sinne – mit solidarischen Grüßen

Birke Bull, Landesvorsitzende

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